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Welche Rolle spielt die Erektion in der Session?

Was bedeutet es, wenn er nicht hart ist, während ich mit ihm spiele? Wie lange ist eine Erektion realistisch? Wie reagiere ich, wenn er währenddessen schlaff wird und wie sehr muss ich überhaupt auf seine Erektion achten? Das sind Fragen, die mir häufig gestellt werden und die ich aus Erfahrung gut nachvollziehen kann. Wir sind noch immer stark in der Überzeugung verankert, dass die sexuelle Erregung und damit das Level an Spaß, das ein Mann beim Sex empfindet, sich direkt in der Erektion zeigt. Ein dauerhaft erigierter Penis ist damit ein zuverlässiges Zeichen, dass wir alles richtig machen, während ein schlaffer Penis uns Gedanken machen sollte, weil er bedeutet, dass der Mann dahinter vermutlich nicht so erregt ist, wie wir vielleicht gern hätten. Nicht umsonst führt eine Erektionsstörung recht zuverlässig zu Problemen in der Paarsexualität, weil sie eben nicht nur mit dem Mann zu tun hat, sondern offensichtlich immer auch mit der Frau (oder dem zweiten Mann), die an der Paarsexualität beteiligt ist. Umgekehrt ist die Erektionsstörung nicht umsonst eine der häufigsten sexuellen Funktionsstörungen überhaupt und zudem eine, die imehrheitlich psychische Gründe hat. All das ist wenig überraschend: Die Last der Erwartung, die an der Erektion hängt, wiegt bisweilen so viel, dass es nicht verwundert, dass er sie nicht mehr stemmen kann.

Die Frage ist: Wie steht es um die Erektion in der Session und wie finde ich als dominante Frau heraus, welche Rolle sie spielt?

 

Das Ziel der Session

Die oberflächliche Antwort auf dieses doch sehr komplexe Thema lautet wohl: Es kommt darauf an, was euer Ziel ist! Wenn euer Ziel der Orgasmus des Mannes ist, dann ist die Erektion deshalb zwar nicht zwingend oberste Priorität, aber früher oder später tatsächlich ein essentielles Thema. Wenn eurer Ziel die Keuschhaltung ist, also euer Partner ohnehin derzeit keinen Orgasmus haben darf, ist die Erektion zweitrangig bis unwichtig. Wenn das Ziel eine ausgiebige Tease & Denial Session ist, dann sollte die Erektion durchaus einigermaßen stabil sein, sonst wird es mit Tease & Denial schwierig. Und wenn euer Ziel etwas völlig anderes ist, dann gilt es, sich zu überlegen, wie viel Wert ihr auf die Erektion legt und was das konkret bedeutet.

Grundlegend ist es wichtig zu verinnerlichen, dass die verbreitete Vorstellung von sexueller Erregung und Erektion, die beide Hand in Hand gehen und wechselseitiger Beweis sind, nicht der Realität entspricht. Vielmehr ist es so, dass eine Erektion zwar in den meisten Fällen, aber nicht ausnahmslos ein Zeichen sexueller Erregung ist. So kommt es zum Beispiel bei vielen Männern morgens durch physiologische Prozesse zu einer Erektion ohne dass sexuelle Erregung empfunden wird. Genauso wie junge Männer oft grundlos oder in asexuellen Kontexten eine Erektion bekommen. Auch wichtig zu wissen, ist, dass bei nicht einvernehmlichen Handlungen bei Männern eine Erektion vorkommen kann, vollkommen ohne sexuelle Erregung oder auch nur ein anderes positives Gefühl. Es gibt zudem Männer, die beim Sport oder in emotionalen Situationen eine Erektion bekommen. All das und einiges mehr ist die Realität, die uns beweist, dass wir sexuelle Erregung von der Erektion trennen oder mindestens lernen sollten, beide nicht mehr zwingend miteinander zu verknüpfen. Umgekehrt (und das ist wichtig für uns!) kann ein Mann sexuelle Erregung empfinden, ohne dabei eine Erektion zu haben. Wichtig ist hier, dass auch das nicht nur bei einer Störung vorliegt, sondern unterschiedliche Gründe haben kann. Natürlich kann eine Erektionsstörung dazu führen, dass die Erektion nicht oder nicht zuverlässig funktioniert - auch hier gilt aber, dass sexuelle Erregung dennoch empfunden wird. Es kommt also darauf an, was man aus der Situation macht. Weiter kann es passieren, dass ein Mann unter Stress steht, emotional oder körperlich angespannt ist oder andere Gründe vorliegen, die dazu führen, dass die Erektion trotz Erregung nicht zustande kommt. Und natürlich gibt es die Möglichkeit, dass der Penis überreizt ist, eine Session oder sexuelle Aktivität zu lange dauert oder der Körper einfach gerade mit anderen Prozessen beschäftigt ist, sodass eine fehlende Erektion mitnichten automatisch ein Zeichen für mangelnde sexuelle Lust ist.


Ein Bewusstsein über all diese Dinge sind für unsere Session, unsere Dominanz, unseren BDSM und unsere Sexualität im Allgemeinen essentiell, weil sie uns und auch unser Gegenüber grundlegend entlasten. Wenn wir einmal verinnerlicht haben, dass zum Einen die fehlende Erektion nicht immer ein Zeichen von mangelndem Spaß ist, und dass zum Anderen wir auch nicht für die Erektion verantwortlich sind, werden wir uns und auch unserem Gegenüber eine Last von den Schultern nehmen.


Faktoren und Abhängigkeiten Wenn das Thema während der Session aufkommt, ist es also wichtig, unterschiedliche Faktoren zu beachten:


1. Dauer der Session

Wie lange dauert die Session bereits und wie lange soll sie noch dauern? Einerseits dürft ihr nicht unterschätzen, dass unabhängig von der konkreten Stimulation des Penis auch der Kopf stimuliert wird - und zwar mit so ziemlich allem, was in einer Session geschieht! Völlig egal, wie erigiert der Penis war oder ob es überhaupt zum Orgasmus kam: Nach einer zwei- oder dreistündigen Session wird euer Gegenüber erschöpft sein. Das hängt mit Auf- und Abbau von Adrenalin und natürlichen körperlichen Reaktionen zusammen (siehe Kapitel „Was passiert in einer Session überhaupt?“). Unterschätzt also nicht, was ein Körper während einer Session leistet. Und zwar nicht nur offensichtlich (beispielsweise durch körperliche Anstrengung, Schmerz, usw.), sondern auch innerlich (also emotional und psychisch).

2. Dauer der Stimulation Eigentlich liegt es nahe, weil Frauen ähnlich funktionieren und die meisten es kennen werden: Wenn die Klitoris zu lange stimuliert wird ohne dass eine orgastische Entladung folgt, sind wir überreizt. Der Punkt, an dem es angenehm war, ist überschritten und wir brauchen meist eine Pause. Dasselbe ist es beim Mann: Wir sollten nicht dem Klischee erliegen, dass Männer ohnehin nur an Sex denken, den ganzen Tag können und dass stundenlange Erektionen normal sind. Im Gegenteil. Wer eine Session von rund zwei Stunden plant, wird sich selten mit einer dauerhaften Erektion konfrontiert sehen - und das ist normal. Vor allem ist es wichtig, sich zu überlegen, wie lange schon Stimulation stattgefunden hat und ob der Penis vielleicht schon überreizt ist oder zumindest kurz davor. Für gewöhnlich bringt eine Pause schon viel - lasst ihn also für eine Weile in Ruhe und konzentriert euch auf ein anderes Körperteil. Regelmäßige Verschnaufpausen und an- und absteigende Erregungskurven (für Kopf und Penis) sind ohnehin ein guter Weg, um auch länger Spaß zu haben.

3. Art der Session

Vielleicht ist dieser Punkt offensichtlich, aber im BDSM ist es weniger selbstverständlich als in anderen Bereichen der Sexualität: Wenn in der Session nur Dinge passieren, die nicht seinem Erregungsprozess entsprechen, dann wird es natürlich auch schwer mit der Erektion. Vorab: Natürlich gehe ich davon aus, dass alle ausgeführten Praktiken einvernehmlich geschehen. Aber sobald das geklärt ist, kann es gerade im Femdom-Bereich durchaus vorkommen, dass abgesprochen wurde, dass heute „sie an der Reihe“ ist. Beispielsweise könnte das bedeuten, dass die Session mit ausführlicher Fußmassage beginnt, ihr euch dann mit einer Nippel-Torture an ihm austobt und zum Abschluss ein demütigendes Ende findet, indem ihr seinen Penis mit einem pathetischen Ritual in den Käfig sperrt. Wenn er all diese Dinge mehr „dienend“, also mehr für euch macht, dann kann es durchaus passieren, dass sein Kopf intensiv dabei ist, er einen Rausch empfindet und voll in seiner Rolle aufgeht - sein Penis aber fast durchweg schlaff ist. Das Wichtige ist: Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass ihr euch vorab ausführlicher Gedanken machen solltet, was genau ihn erregt, sondern vielmehr, dass es wichtig ist, abgesprochen genau das zu tun, wonach beiden ist und die Notwendigkeit der Erektion geringer zu priorisieren. Wenn ihr euch einigt, dass es heute um euch geht, dann macht das, was euch Spaß macht und nicht das, was seinen Penis erigiert. Umgekehrt ist es wichtig, sich diese Unterscheidung im Bewusstsein zu halten, um gleichzeitig ihn von dem Druck zu entlasten, erigiert sein zu müssen. Die Erektion in der Session ist je nach eurem Plan für die Session, eurer Haltung und Bedürfnis manchmal nötig, manchmal überflüssig und manchmal zweitrangig - aber egal, was davon der Fall ist, denkt daran: Im Zweifel könnt ihr eher euren Plan für die Session und eure Haltung beeinflussen als seine Erektion.

4. Individuelle Faktoren

Habt im Hinterkopf, dass die Erektion auch durch andere Umstände beeinflusst wird! Das Alter spielt eine essentielle Rolle: In den Zwanzigern kommt die Erektile Dysfunktion bei Männer eher weniger vor, hier sind es rund 8%. In den Dreißigern leiden schon rund 11% darunter und in den Vierzigern ganze 41%. Zwischen 50 und 70 Jahren liegt die Zahl bei zwischen 50 und 73%, Tendenz steigend. Die Faustregel (Ausnahmen bestätigen die Regel) besagt: Je jünger ein Mann mit Erektiler Dysfunktion ist, desto eher liegt es an psychischen Ursachen. Je älter er ist, desto eher kommen körperliche Faktoren hinzu. Andere Einflussfaktoren sind vor allem Übergewicht, Ernährung, Rauchen und Sportlichkeit sowie die Einnahme von Medikamenten (allen voran Antidepressiva) oder bestimmte Krankheiten. 5. Tagesform Zuletzt sollte euch noch bewusst sein, dass auch bei einem jungen, sportlichen, gesunden Mann, der sonst immer körperlich auf euch reagiert, die Möglichkeit vorhanden ist, dass die Tagesform gerade nicht die Beste ist. Jede von uns kennt das - es liegt also nur nahe, hier nachsichtig zu sein und auch das als Möglichkeit in Betracht zu ziehen.

Fragen zur Selbstreflexion Wichtig ist wohl, sich zuerst selbst zu hinterfragen und nachzuspüren, worum es mir bei der Erektion meines Gegenübers eigentlich geht. Dazu habe ich euch ein paar Fragen zum Nachdenken:


Was fühle ich, wenn ich sehe, dass mein Partner eine Erektion hat?


Was fühle ich, wenn ich sehe, dass er keine Erektion hat, obwohl ich sie forciere?


Wie fühle ich mich, wenn seine Erektion wie von mir forciert zustande kommt und bis zum Ende funktioniert?

Was möchte ich mit der Erektion erreichen?


Tauchen negativen Gefühle in mir auf, wenn ich an Situationen denke, in denen die Erektion nicht wie gewünscht geklappt hat? Wenn ja, welche?

Was hat seine Erektion mit mir zu tun?

Was sagt es über mich als seine Partnerin aus, wenn er keine Erektion hat?

Was sagt es über mich als seine Partnerin aus, wenn er eine Erektion hat?



Umgang mit der (nicht-)Erektion

Je nach dem, ob und wie ihr die Fragen beantwortet habt, gehen euch nun vielleicht ein paar neue Gedanken durch den Kopf. Unabhängig davon, wie ihr dazu steht, wie wichtig euch die Erektion in der Session ist und wie ihr sie bewertet: Am Ende geht es um den richtigen Umgang damit. Grundlegend halte ich es für wichtig, an der eigenen Haltung zu arbeiten. Das bedeutet, sich bewusst zu machen, dass tausend individuelle Faktoren beeinflussen, ob die Erektion zustande kommt oder nicht - und dass unser Handeln nur einer davon ist. Dieses Bewusstsein entlastet uns und vor allem auch unser Gegenüber. Aus der sexualtherapeutischen Arbeit mit Paaren weiß ich aus Erfahrung, dass Erektionsstörungen, die psychische Gründe haben, meist darin begründet sind, dass der Mann sich unter Druck gesetzt fühlt, weil er (offensichtlich oder subtil) die Erwartungshaltung der Frau spürt und ihm mehr oder weniger explizit deutlich gemacht wird, dass sie die Erektion auf sich bezieht. In den meisten Fällen hat seine fehlende Erektion aber nichts mit ihr zu tun, sondern mit etlichen anderen Faktoren. Um sie nicht zu verletzen und ihr nicht das Gefühl zu geben, sie nicht mehr attraktiv zu finden, strengt er sich ganz besonders an und setzt die Erektion an oberste Stelle. Genau dann (wenig überraschend) funktioniert sie natürlich noch weniger. Um euch also beiden einen Gefallen zu tun, ist es wichtig, das eigene Gefühl (welches auch immer dahinter stecken mag) nicht von seiner Erektion abhängig zu machen. Das Schöne im BDSM ist ja, dass wir auch praktisch nicht mehr von ihr abhängig sind: Es gibt so viele Dinge, die man völlig unabhängig davon machen kann und die auch beiden Spaß bereiten. Wenn ihr inmitten der Session damit konfrontiert seid, dass er wider Erwarten nicht reagiert, habt ihr verschiedene Möglichkeiten: Ihr könnt (wenn ihr ihn gut kennt) versuchen, das zu ändern - oder ihr ändert die Aktivität, sprich die Praktik. Ihr könnt euch zum Beispiel für eine Weile auf etwas konzentrieren, dass nichts mit seiner Erektion oder generell nicht mit seinem Penis zu tun hat und ihm Raum geben, sich von dem Druck freizumachen. Häufig wirkt es Wunder, wenn er authentisch das Gefühl hat, dass es euch im Grunde egal ist, ob er nun hart ist oder nicht - und dass ihr in beiden Fällen auf die ein oder andere Weise Spaß mit ihm habt.



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